Spitalalltag

Es brauchte einige Zeit, bis ich mich im Spital eingelebt hatte. Der Chefarzt, der normalerweise die traumatologischen Patienten im Spital behandelt war während der ersten Zeit abwesend. Man war sehr dankbar, dass ich diese Lücke füllen konnte. An Patienten mangelt es hier nicht. Es ging grad vom ersten Tag an los. Viele meiner Patienten lerne ich auf den „ward“ kennen, wenn die tansanischen Ärzte sie mir vorstellen oder wir gemeinsam Visite machen. Ein anderer Teil der Patienten kommt über den „Dressing room“ mit mir in Kontakt. In diesem speziell für Verbände eingerichteten Raum ist jeden Tag Hochbetrieb. Viele der Frakturen hierzulande sind offene Frakturen. Leider kommen diese Patienten IMMER zu spät in fachliche chirurgische Behandlung. Das hat verschiedene Gründe zum einen kommen viele Patienten von sehr weit her. Andere Patienten werden von kleineren peripheren „Kliniken“ nach minimaler Versorgung an unser Spital, welches einen recht guten Ruf geniesst, zugewiesen. Ein weitere Teil der Leute vertraut primär auf traditionelle Heilmethoden oder Hexerei und Schamanenkult. Erst wenn es gar nicht mehr geht, kommen sie ins Spital. Meistens sind das nicht offene Ober- oder Unterschenkelfrakturen, denn diese Verletzungen sind so schwer, dass man kaum anders kann als sich in medizinische Obhut zu begeben. Aber nach Verbrennungen oder Bisswunden kommen viele erst dann, wenn es schon zu spät ist.  

Aufwändige Sehnenrekonstruktionk
Aufwändige Sehnenrekonstruktionk

Ich war überrascht, wie viel Operationen anstanden. Da gibt es zum Einen die „frischen Notfälle“, das sind meist offene Frakturen, die man möglichst bald mit einem Fixateur extern behandelt (siehe Bild unten). Dann gibt es die geschlossenen Frakturen, die je nach Alter der Verletzung im Idealfall innerhalb von 7 bis 14 Tagen zu operieren sind. Und dann gibt es die komplizierteren älteren Fälle zu denen Fehl- oder nicht verheilte Frakturen zählen und akute und chronische Osteomyelitis. Hinzu kommen geplante Fälle von Hauttransplantationen sobald der Gewebegrund so weit ist, dass die verpflanzte Haut einwachsen kann und sogenannte Second-look-operationen, das sind Eingriffe, bei denen schon gegen Ende der ersten Operation festgelegt wird, dass man innerhalb weniger Tage nochmals operiert (nochmals „nachschaut“). 

Ihr merkt schon, dass ich hier sehr traumalastig berichte. Das ist auch der Hauptgrund, warum ich in das Spital gekommen bin. Daneben werden täglich Kaiserschnitte gemacht und im Regelprogramm Hernien und weitere Allgemeinchirurgische Operationen. Ja sogar eine Blinddarmentzündung bei einem Afrikaner haben wir gefunden und operiert!

Als in diesem Frühjahr das Team vom Waid- und Kantonsspital Winterthur hier war, war man eher enttäuscht, da wider Erwarten relativ wenig Patienten zu operieren waren. Der Grund dürfte in der anstehenden Arbeit auf den Feldern gewesen sein. Gegen Ende der Regenzeit war es für die Menschen existentiell, dass angesät und gepflanzt werden konnte. Ganz anders sieht es jetzt aus. Die Ernte ist einfahren und die Leute haben eher Zeit und durch den Erlös der Ernte auch Geld um sich operieren zu lassen. Das gilt vor allem für die oben erwähnten „älteren“ Fälle.

Vorher/Nachher Oberschenkelfraktur
Vorher/Nachher Oberschenkelfraktur
Fixateur extern
Fixateur extern

Normalerweise wird ortho/ trauma vor allem Dienstag und Mittwoch und zum Teil auch am Freitag operiert. Da ich aber alleine war und so viel anstand konnte ich auch Montag und Donnerstag operieren. Schnell hab ich bereits von Beginn an die Patienten der Dringlichkeit nach geplant. Jeden Tag 3 bis 4 Eingriffe mit Winterthurer Wechselzeit von max. 30min von Nahtende bis zum nächsten Schnitt, OP Beginn grad nach dem 8 Uhr Rapport.... Aber da hat mich die Realität sofort wieder eingeholt. Man wartet jeweils geduldig, bis ich im Ops erscheine ob man denn den Patienten bestellen könne. Oft kommt ein dringender Kaiserschnitt dazwischen. Dann ist zwar nur ein Saal besetzt aber eben auch der Anästhesist, der meien Patienten betäuben sollte... Der 2. Anästhesist ist meist im „Dressing room“ beschäftigt für Narkosen bei besonders schmerzvollen Verbandwechseln. Manchmal ist der Patient trotz Planung doch nicht nüchtern oder die Instrumente sind noch nicht wieder sterilisiert. Die vielen Stromausfälle spüre ich im Spital kaum, denn wir laufen dann immer am Generator. Das kostet das Spital sehr viel Geld denn wir haben wie bereits erwähnt öfters keine Strom als dass wir Strom haben. Aber immerhin können wir operieren. Aus den oben genannten Gründen beginne ich leider meist erst nach 10 Uhr mit operieren. Natürlich sitze ich davor nicht einfach rum, sondern ich werde von allen Seiten gerufen und gefragt. Regelmässig pendle ich zwischen Dressing room, Operationssaal, female- , male-, childrenward hin und her.

Oft bin ich dann am Abend länger geblieben. Ich liess dann zum Teil auch am späteren Nachmittag einen Pateinten bestellen und aufgleisen und war dann jeweils frusteriert, wenn mit aller Vorbereitung und Verzögerung der eigentliche Operationsbeginn noch später wurde. Ich hatte einfach die vielen Patienten im Kopf und wusste dass nach dem Wochenende zu den anstehenden die neu Verunglücken hinzu kommen werden. Und ein bisschen habe ich es dem Ops Team auch gegönnt, dass sie mit mir länger bleiben durften, da es am morgen ja nicht vorwärts ging. Hatte die Hoffnung dass sie sich dafür am nächsten Tag etwas sputen...  Leidtragend waren Christa und die Kinder, die mich dann halt erst später am Abend wieder hatten. Das fand ich auch nicht fair. Ich musste dann umdenken und nicht aufgrund des Systems und der hiesigen Mentalität (afrikanische Langsamkeit) zum Nachteil der Familie und mir länger arbeiten. Eine grosse Erleichterung war es als Dr. Kimaro, der Chefarzt wieder da war und wir zu teil auch parallel operieren konnten.


Sturz vom Baum
Sturz vom Baum

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Kommentare: 1
  • #1

    Tim (Freitag, 21 August 2015 13:46)

    Toller Einsatz - danke schön auch für den schönen Bericht!