Leid und Freud  im Spital – Rachel und Ibrahim

Rachel
Rachel

Leider haben wir im Spital immer wieder Kinder mit starken Verbrennungen. Obwohl wir uns in Äquatornähe befinden wird es hier in der Nacht recht kühl. Es ist ja Winter und das Städtchen liegt auf 1400m über Meer. Das offene Feuer dient hier vielen Leuten als Wärmequelle. Auch gekocht wird über dem offenen Feuer oder der Holzkohleglut. Es kommt leider viel zu oft vor, dass hier Kinder ins Feuer fallen oder sich sonst wie verbrennen. Von all den Kindern mit Verbrennungen, die während meiner Zeit hier im Spital behandelt wurden,  waren Ibrahim und Rachel die schlimmsten.


Der 5 jährige Ibrahim spielte mit anderen Kindern beim Feuer und wurde unglücklich geschubst, so dass er rücklings in die heisse Glut fiel. Er hat sich dabei tiefe Verbrennungen am Rücken, Gesäss und zirkulär am ganzen Oberarm zu gezogen. Die 8 jährige Rachel hat ihr neues Kleidchen getragen und geriet ebenfalls zu Nahe ans Feuer. Da das Kleidchen aus synthetischem Stoff war, fing es sofort Feuer und Rachel zog sich schwerste Verbrennungen von den Waden bis zu den Schulterblättern und von den Kniescheiben bis weit über den Bauchnabel hoch.


Als ich Ibrahim das erste Mal gesehen habe, war er schon längere Zeit im Spital. Mit einem unbeschreiblichen Aufwand wurde alle 2 Tage im Dressing room mit Kurznarkose ein Verbandwechsel gemacht. Nur dank dieser liebevollen und engagierten Betreuung des hiesigen Teams hat er wohl überlebt. Aber die grosse Wundfläche zehrt unglaublich an den Kräften. Sein Hb- Wert (rote Blutkörperchen) war unglaublich tief und er lag schwach in seinem Bettchen und schlief die meiste Zeit.  Als ich noch mitten in den Vorbereitungen für die Operation zur Hauttransplantation war und mit den Spezialisten zuhause den Fall besprochen habe, tauchte unverhofft Rachel auf. Ihr ging es schlecht. Nach der fürchterlichen Verbrennung waren die Eltern mit ihr in irgendeiner „Klinik“ (wenn man diesen edlen Begriff, denn dafür verwenden darf...) wo sie eine unmenge Geld zahlen mussten dafür, dass die Verbrennung mit einer seltsamen grünen Lösung bepinselt wurde. Die verbrannte Haut war noch auf dem Körper, teile davon waren verkohlt. Wenn man mit den Finger auf die Bauchhaut klopfte, tönte es so, wie wenn man auf den Boden eines frisch gebackenen Brotes klopft.

Verbrennungspatienten sind extrem aufwändige und schwer kranke Patienten. In der 1. Welt gibt es eigens dafür eingerichtete Verbrennungszentren (in der Schweiz Zürich und Lausanne). Es gilt die Regel, dass Patienten mit mehr als 10% verbrannter Körperoberfläche an ein solches Zentrum verlegt werden sollten. Also selbst ein Kantonsspital wie z. B. das KSW würde Patienten wie die beiden Kinder verlegen. Diese Möglichkeit bietet sich hier aber nicht. Ich war froh, dass ich im Kinderspital auf der Verbrennungsstation Erfahrung mit dem Umgang mit solchen Patienten sammeln konnte, aber das war Jahre her. Zum Glück hatte ich die Unterstützung von den Fachärzten aus Winterthur.


Bei Ibrahim waren noch 2 Eingriffe in Narkose notwendig, bis der Wundgrund für die Hauttransplantation reif war. Bei Rachel wollten wir Zeit gewinnen, denn je früher sie wieder Haut bekäme, desto schneller würde sie sich erholen. So entschieden wir uns in einem ersten Schritt zuerst die Beine zu transplantieren und später Bauch, Gesäss und Rücken. Die Operation war sehr aufwändig und dauerte lang. Um mit der verfügbaren Haut (man nimmt eine 0.2mm dicke, oberflächliche Schicht von gesunder Haut) möglichst viel Fläche zu decken wird das Hauttransplantat gemesht. Das heisst so eingeschnitten, dass sie sich wie ein Netz ausbreiten lässt. Bei uns zuhause wird das mit einer Art Walzenpresse gemacht und dauert maximal 20 Senkungen pro Hautbahn. Hier mussten wir mit einem Skalpell die Schnittchen von Hand machen. Das kostete sehr viel Zeit. Auch war sich das Team eine so grosse Operation nicht gewohnt, aber es klappte alles wunderbar und ich war sehr zuversichtlich. 5 Tage muss man zuwarten, ehe man wieder unter den Verband schaut. Würde man früher nachschauen, riskiert man dass sich die Haut ablöst. In der Zwischenzeit haben wir bei Ibrahim den ganzen Rücken mit Spalthaut (so nennt man das Hauttransplantat) gedeckt.

Leid: an einem Montag war der erste Verbandwechel bei Rachel fällig. Schon beim Ablösen der ersten Verbandbahnen drang mir der charakteristische unangenehm süssliche Geruch in die Nase und ich befürchtete Schlimmstes... Uns so war es auch. Bakterien (Pseudomonas) haben die transplantierte Haut infiziert und zerstört. Das war ein riesiger Rückschlag. Nicht nur, dass die ganze Arbeit umsonst war, sondern auch weil wir um Wochen zurück geworfen wurden. Selbst wenn wir den Infekt sanieren können, fehlt die nötige Zeit, da wir ja bereist alle verfügbare Haut genommen haben. Diese muss sich zuerst neu bilden. Aber in erster Linie machte ich mir um Rachel Sorgen. Ich war mir fast sicher, dass sie sich von dem Infekt nicht erholen würde. Wäre das in Anbetracht der schlimmen Verletzung und späteren Narben und Invalidisierung in einem armen Land wie hier, wo das Leben für viele auch ohne Behinderung genug schwer ist, nicht gnädig gewesen? Mit Viel Hingabe wurde sie vom hiesigen Team weiter gepflegt und die aufwändigen Verbandwechsel wurden fortgesetzt. Jeden Tag wenn ich bei Rachel im Zimmer war bekam ich feuchte Augen – so wie jetzt wenn ich über ihr Schicksal schreibe. 


Freud: Nur einen Tag später wickelte ich mit zittrigen Händen die Verbandbahnen bei Ibrahim ab. Ich wagte kaum zu atmen, bildete ich es mit nur ein? Roch da nicht etwas? Aber bei ihm war es anders; praktisch die ganze transplantierte Haut ist angekommen. Ein riesiger Erfolg!

Ich weiss nicht was bei Rachel schief ging, vielleicht war sie einfach auch zu schwer krank. Heute hat sie sich vom Allgemeinzustand her stabilisiert. Der Infekt ist unter Kontrolle. Aber nach wie vor ist 54% ihrer Haut nicht vorhanden. Erschwerend dazu noch, dass ein Teil der ansonsten so gut und narbenfrei abheilenden Entnahmestellen durch den Infekt in Mittleidenschaft gezogen wurden.

Der kleine Ibrahim hat sich seit die Wundfläche am Rücken geheilt ist erstaunlich gut erholt. Vorgestern habe ich die verbliebenen Stellen; Gesäss und Oberarm transplantiert. Während ich ihn jeweils vor den vorangegangenen Operationen nur als schlafendes Häufchen Elend, mit eingenässter Hose und Verband kennengelernt hatte, hat er jetzt ganz laut geschumpfen und gewettert. Die Ops Schwester hat verstanden: er musste dringend pinkeln. Kurzerhand ist er auf dem Ops Tisch aufgestanden und hat in den hingehaltenen Abfalleimer hineingepinkelt. Musste einfach nur schmunzeln. Heute habe ich ihn draussen vor dem Spitalzimmer sitzend angetroffen. Zum Glück ist der transplantierte Oberarm in mehreren Lagen Verbandgaze und zusätzlich mit Schaumstoff eingepackt. Der Thiersch (so nennt man auch die Spalthaut nach ihrem Erstbeschreiber Carl Thiersch) verträgt keine Scherkräfte und benötigt zum Einheilen zwingend gute Kompression. Ich habe damit gerechnet, dass der Knabe wie zuvor in seinem Bettchen liegt und vor sich hin döst. Ich war überglücklich, dass es ihm so gut geht!

Rachel liegt im gleichen Zimmer, bei ihr war ich davor. Vielleicht können wir sie dann im September, wenn ich nicht mehr da bin in ein Nachbarspital bringen. Es ist geplant, dass dann dort ein Team von ausländischen plastischen Chirurgen zu Besuch ist, die unentgeltlich im Rahmen eines humanitären Einsatzes operieren. 

Ibrahim
Ibrahim
Ibrahim 3 Wochen nach der Operation (rechts)
Ibrahim 3 Wochen nach der Operation (rechts)

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